...Da sah ich das verheißungsvolle Schild eines Cafés. Ich drückte die alte Klinke hinunter und trat ins Halbdunkel.
Gerüche von frisch gemahlenem Kaffee und Backwerk, Marzipan, Parfüm, wie es alte Damen bevorzugen,
süß und etwas zu stark, hingen in der Luft.
Abgenutztes Holz und der eigentümliche Geruch abgeriebenen Leders mischte sich darunter und lud mich ein. Ich schloß die Tür hinter mir und die Stadt blieb zurück.
Das
Café war größer, als ich gedacht hatte. Holz und Samt und eine hohe Decke, Kronleuchter, Kellner in weißen Jacken, die zwischen Tischen umher wandelten, an denen die alten Damen, die das Parfüm verströmten, saßen und
tratschten oder vor sich hin starrten, an gute Zeiten dachten und an die Tage, an denen die Männer, die sie einst mit all dem Schmuck behängt hatten, den sie nun auf einmal trugen, noch jung und stark gewesen waren. Die Männer waren Vergangenheit,
die Kellner einziges Objekt von Begierde, denn sie brachten den Kuchen, sie und der Zucker, der auf allem troff.
Die knotigen Hände, die blasse Haut, die hängenden Hälse. Sie waren wunderschön, diese alten Damen in diesem Café,
welches ihnen so gut stand, wie die Broschen und Spangen und Hüte und Pelze.
Sie hatten alles gesehen, wovon wir nur gelesen hatten. Sie hatten hier gelebt, in guten wie in schlechten Zeiten.
Vermählt mit dieser Stadt und ihren Launen.
Die Schminke in ihren Gesichtern übermalte die Verwundungen und die Jahre so gut oder so schlecht, wie die Anstriche an den Häusern vertuschten, was dieser Stadt angetan worden war. Von der Zeit, den Inflationen, den Deflationen, dem Klima,
von den Menschen. Besonders von den Menschen. In der vergeblichen Hoffnung, dass man diesem Land etwas abtrotzen könnte.
Der rote Lippenstift verlieh ihnen etwas verruchtes, verwegenes. Und machte sie nicht auch das gemein mit dieser Stadt?
Ich riß meinen Blick fort von Anblick und Gedanken und folgte meiner Nase.
Sie ließ mich nach rechts blicken. Stand direkt neben einer Theke, in der die köstlichsten Kuchen und Pastries zu finden waren, die man
sich vorstellen kann. Süß und klein und triefend und zuckrig, rosig, klebrig.
Ich war ihnen sofort verfallen. Beim ersten Anblick wußte ich, dass ich sie in meinem Mund fühlen wollte.
Ich ging zu einem der Tische, nachdem
ich eine kleine, feine Auswahl an Gebäck, Kanapees und Toast ausgesucht hatte. Der Stuhl knarrte und war urgemütlich.
So hatte dieser Ort wahrscheinlich schon in den glorreichen Zwanzigern ausgesehen. Ebenso wie der Kellner, der von Arthritis
gequält, an meinen Tisch schlurfte.
Seine Jacke schlenkerte um seinen dünnen Körper und verfing sich im Stuhl, als er neben mich trat.
Er nahm meine Bestellung auf und den Zettel entgegen, auf dem meine Kuchenwünsche
notiert waren, schlurfte weg.
Bald kam er wieder, doch nicht alleine. Er trug den Kaffee, in einer blinden Silberkanne und zartes, abgeschabtes Porzellan, auf einem kleinen Tablett. Ein zweiter Kellner, noch älter als der erste, brachte eine mehrstöckige
Etrangere mit den bestellten Süßigkeiten.
Ich aß nicht, ich genoß und vielleicht war es der viele Zucker, der mich glauben ließ, was wenig später geschehen sollte.
Aber wie es auch war, es war das erstaunlichste,
was ich je erlebt hatte.
Zunächst geschah gar nichts. Die Damen schlürften, die Herren schlurften und ich schaute. Zeichnete ein wenig, schrieb. Der Raum schwamm in Inspiration.
Dann wurde ich neugierig.
Wollte sehen, was sich im oberen Stock, am Ende der Treppe versteckte, die wie eine Verheißung halb hinter einem Vorhang verborgen am anderen Ende des Cafés lag. Eine eiserne, geschwungene Treppe. Stufen, aus poliertem und abgetretenen Holz, Klack,
klack, klack, Schritt für Schritt. Meine Schuhe klapperten den Tack einer fernen Melodie. Sie wurde lauter, je öfter ich meine Hand über das Geländer zog, je öfter ich meine Füße hob, und klackernd wieder aufsetzte.
Ein Klavier, eine Gitarre, noch etwas anderes, und das vielfach zurück geworfene Echo meiner Schritte.
Nein, kein Echo, eine Antwort.
Diese Musik, ein Tango, unverkennbar, berauschend, eisern, wie das Geländer, nachgiebig, wie das
Holz. ...