Wir machen Musik
Das Chor- Jahr fühlte sich von Anfang an anders an. Es gab Ideen und feste Termine, Pläne und Vorfreude und gleichzeitig raunte es aus China herüber, dass alles ganz anders kommen könnte.
Wir als Chorgemeinschaft
probten zunächst noch auf feste Ziele hin, weil es ja nur ein Geraune war. Oft genug war es beim Sturm im Wasserglas geblieben. Doch irgendwann erkannte man es auch in Europa, dass in diesem Jahr nichts so werden würde, wie gehofft.
Das letzte
persönliche Chortreffen fand wie immer an einem Donnerstag statt, als die Politik noch nicht sicher war, wie es weiter gehen sollte. Demokratisch entschieden wir uns für eine frühe Isolation, also einen Verzicht auf die wöchentlichen Proben.
Die Politik zog nach.
Normalerweise ist die Probe auch ein herzliches Treffen mit vielen Umarmungen und Lachen. Wo siebzig Sänger den Mund öffnen und Töne und Sorgen frei herauslassen, da wirbeln eben auch die Viren und Bakterien.
Wir sehen das normalerweise gelassen. Doch das geht jetzt natürlich nicht mehr.
Der Donnerstagabend war schon ein wenig traurig, weil wir wussten, dass wir uns eine ungewisse Zeit nicht sehen würden.
Freitag war man mit anderen Dingen
beschäftigt. Vorräte sichten, Einkauflisten der älteren Verwandten abfragen, brauchen die Nachbarn etwas, Einkäufe erledigen, Abstand halten. Ethische Fragen stellen. Wo endet umsichtige Haushaltung und fängt das Hamstern an?
Wieviel Toilettenpapier braucht ein Mensch?
Samstag nahm man sich vielleicht die Zeit, Freunde per Whatsapp zu kontaktieren, ins Ausland zu skypen, Freunde anzurufen. Montag blieben die Kinder aus der Schule zu Hause. Haus putzen, nur nicht zu viel
nachdenken. Den Garten umgraben, wenn man einen hat, anfangen mit Hamstern,….
Dienstag einfach nur das Leben organisieren, Mittwoch nicht den Mut verlieren, Donnerstag…
Donnerstag keine Chorprobe. Von wegen. Natürlich haben
sich unser Chorleiter und einige Chormitglieder schon Gedanken gemacht, wie man das regeln kann. Über eine Internetplattform wurde ein Team- Meeting eingeplant, Einladungen verschickt, der Computer eingerichtet, ein Platz gesucht, an dem man ungestört
reden kann, ohne die Familie zu irritieren.
Dann kam der Donnertagabend und ich saß erwartungsfroh vor meinem Laptop, versuchte noch schnell, zu verstehen, was ich genau tun muss, damit mich die anderen sehen und hören können und umgekehrt,
da bimmelte ein Anruf über Zoom herein und ich musste ihn nur annehmen. Eigentlich ganz einfach.
Schwupp, war ich drin und vor mir sah ich schon die ersten Chormitglieder in kleinen Bildchen, die mir winkten und mich begrüßten. Wie schön!!!
Nach und nach trudelten alle ein und es gab ein frohes Hallo und Lachen!
Singen konnten wir nicht gemeinsam, dafür ist das Medium nicht ausgerichtet, aber der zweitliebsten Tätigkeit während der Chorprobe, das Quatschen (natürlich
nur vor und nach der Probe), ähem, konnten wir frönen.
Und das tat sehr gut. Man war ja gar nicht alleine mit seinen Befürchtungen und Sorgen. Ein Netzwek wurde ins Leben gerufen, um sich gegenseitig zu unterstützen, falls nötig.
Einige Chormitglieder können leider nicht über die modernen Medien kommunizieren. Die wurden eben persönlich angerufen. Es sollte keiner außen vorgelassen werden.
Die nächste schöne Aktion, die wieder mehr mit singen zu
tun hatte, wurde kurz vor Ostern ins Leben gerufen. An Ostern sollten wir eigentlich in einer Ostermesse singen. Schon schade, dass das nicht möglich war, oder doch?
Jedes Chormitglied nahm ein Video von sich auf. Jeder von uns sang: “Why
so downcast, oh my Soul“ ein und schickte das an unseren Studiotechniker. Der bastelte daraus ein wirklich schönes Musikvideo zusammen und stellte es auf YouTube ein.
Wir konnten das Video an Verwandte und Freunde schicken.
Das war ein kleiner Trost dafür, dass das diesjährige Osterfest nur im kleinsten Rahmen gefeiert werden konnte.
Zwar liebevoll gestaltete, virtuelle Messen, aber keine leibhaftige, feierliche Ostermesse mit Weihrauch und Gesang, kein Kaffeetrinken
mit Oma und Opa, keine Reise zu Verwandten. Da war das Video irgendwie ein Sonnenstrahl.
Die Resonanz war so groß, dass wir am Ende der Karfreitagsmesse in Langel eingespielt wurden, die über soziale Medien verfolgt werden konnte.
Für
mich selber war das erste Reinhören ein Gänsehautmoment. Da sind sie ja fast alle und singen zusammen.
In der Krise merkt man, was einem wirklich fehlt und kommt auf viele neue, kreative Ideen, um sich auszudrücken, Gemeinschaft zu leben,
zusammen zu halten. Und wenn wir uns dann endlich wiedersehen können, live und in Farbe, dann wird das ein wirklich großer Moment werden. Und ich fürchte, lieber Chorleiter, dann wird mehr gequatscht, als gesungen werden, aber nur ein wenig
mehr. Denn dann singen wir bestimmt: “Oh happy Day!“ und meinen es auch so.
Kerstin Surra