Von schroffem Fels und dem Endlosen
Die Mär von Kathy Mc O. und John Ó T.
Gehört,
recherchiert und vorgetragen von K.E. Surra
Es war einmal im wilden Westen ein Pärchen von furcht- und ruchlosem
Tun. Kathy Mc O. und John O´ T. waren ihre Namen. Eingetragen in das Gedächtnis einer Welt, in der Recht und Gesetz Willkür und Anarchie hießen. Eine Welt, die nicht vergessen kann. Endlose Steppen und schroffe Felsnadeln unter einem
ewig blauen Himmel. Nicht ganz das Blau, das jene kannten, die noch den Himmel gesehen hatten, der unsere Erde überspannte. Kathy Mc O. und John Ó T. kannten die gute Gaia nur aus Erzählungen der ganz Alten. Und die kannten es nur durch das
Weitergeben von Erinnerungen, die schon alt gewesen waren, als die Besiedelung dieses Planeten begonnen hatte. Sie Beide waren gänzlich Kinder dieser neuen Welt.
Die Waffen ihrer Wahl
waren die brandneuesten Photonen- Perkussionspistolen der Derringerklasse.
Ihre Kugeln waren Wagemut und Kaltblütigkeit.
Sie verbreiteten Angst und Schrecken unter den Viehdieben von Farmern im Frontierland, westlich vom Mississippi und anderem Gesindel von dem noch berichtet werden wird.
Das
war so, weil sie eine Rechnung offen hatten und die mussten sie begleichen. Denn Kathy und John waren nicht immer berüchtigte Outlaws gewesen. Sie stammten aus einer langen Reihe von Abenteurern, die sich in neue Welten und unbekannte Gefahren begeben
hatten, um das Glück zu suchen, aber meistens einen frühen Tod fanden.
Da sie aber oftmals Neuland betraten, starben sie zumindest Tode, die zuvor niemals ein Mensch gestorben
war und schrieben ihre Namen in den Sand der Geschichte ein.
Diese Frauen und Männer folgten der Neigung ihrer Herzen, in der die Neugierde alle anderen Regungen übertrumpfte.
Kathy und John trugen keine Raumanzüge mehr, sondern die Kleidung der einfachen Leute, als ihr Leben begann, denn ihre Eltern waren arme Schlucker. Kathy begann dieses Leben in einer
Schublade, die ihr als Wiege diente. Die Sterne, die durch ein Loch im Dach der kleinen Hütte hineinlugten, lullten das Mädchen in den Schlaf. John schlief auf Stroh im Pferdewagen seiner Eltern. Das Holpern der schweren Räder auf dem
staubigen, unebenen Weg war seine Einschlafmelodie.
Beide verloren früh ihre Mütter und liefen hinter ihren Vätern her, die ihrerseits dem Glück hinterher jagten.
Kennen lernten sie sich, da konnten sie schon lange laufen, mit sechs Jahren, vielleicht. Beide mit ihren goldsüchtigen Vätern auf einem Treck nach Traumland unterwegs, schlossen schnell Freundschaft
und waren bald unzertrennlich. Das Leben war hart und die Kost karg gewesen. Hinter den Wagen hatten sich die Kinder eine eigene Welt zusammengebastelt, in der es kein Gold gab und keine Sorgen. Dachten sie zurück an diese Zeit, waren es Erinnerungsfetzen
von ausgemergelten Erwachsenen und ausgezehrten Kindern, die sich im Kreis der zerfledderten Wagen versammelten, die Köpfe gesengt, die Hüte in den Händen, die dünnen, schmutzigen Hände um ein Gesangsbuch gekrampft oder an eine leere
Hoffnung, Gebete murmelnd, Sonntagsmesse. Schöne Stimmen mit traurigen Untertönen. Gemeinschaft. Man hielt sich an den Händen.
Warme Abende am Lagerfeuer, die Gesichter von
einem Schimmer und einer Hoffnung, die so fantastisch war wie die Geschichten von Gold und Reichtum es schon immer gewesen waren. Wer schon länger lebte, hätte ahnen können, dass es wie immer war. Einige wurden reich und viele wurden es nicht.
Die Kinder waren noch nicht lange genug in diesem Weltenrund, um das zu verstehen. Sie glaubten noch an alles, was man ihnen versprach.
Es waren Tage der Last aber auch Tage einer Freiheit, die schon Gold genug war für Manchen.
Frauen und Männer, die auf Pferden den großen Herden hinterherjagten.
Sie hatten von den Fehlern, die auf der Erde gemacht worden waren gelernt und ließen das Ausrotten. Die Kinder saßen manchmal vorne im Sattel eines dieser tollkühnen Jäger. Der Wind in den Haaren, die Geschwindigkeit des Rittes, das Glück.
Die Spiele im hohen gelben Gras, das ausgelassen Baden in wilden, kalten Flüssen, das Lachen der Erwachsenen, die sich nur noch ferne an die eigene Kindheit erinnern konnten und in
diesen Augenblicken doch wieder diese Freiheit spürten.
Die Kinder spielten mit den Kindern der anderen Reisenden und wurden halbwegs von deren Familien adoptiert, die Mitleid mit diesen
Mutterlosen Geschöpfen hatten. So waren sie der Nutzlosigkeit der eigenen Väter zum Trotz, die sich den Träumen vom Traumland hingaben, behütet.
Das Leben war nicht reich,
aber es reichte zum Leben,
Doch der Winter überraschte sie und Traumland war noch fern.
Der Treck
musste bitter dafür bezahlen, dass die Technologie, die einst alle besessen hatten, die gemeinsam von der Erde zu dieser fernen Welt aufgebrochen waren inzwischen in der Hand weniger war.
So mussten die meisten Menschen leben und sterben wir ihre Vorfahren Jahrhunderte zuvor. Und sie taten es auf dieser Reise einer nach dem anderen. Kälte, Hunger, Erschöpfung waren das Eine. Entsetzlicher noch wüteten
die wilden Kreaturen, die mit dem Schnee und den Stürmen aus ihren tiefen Höhlen hervor krochen und ein übles Werk unter den Schutzlosen taten. Sie kamen im Schutz der Dunkelheit und der Schneestürme und wer sie Angesicht wurde hatte keine
Gelegenheit mehr von ihrer Abscheulichkeit zu berichten.
Das waren bittere Erinnerungen. Warum ausgerechnet sie beide überlebten, so dünn und winzig, das würde
nie einer verstehen, der sie nicht kannte. Ihre Zähigkeit war es. Und ihr Zusammenhalt. Aber man kann auch das Gras essen und die Beere und das kleine Tier. Man kann von der Erinnerung zehren, von den Sternen kosten, den Träumen trinken.
Die Pferde starben, die Wagen blieben liegen, das ganze Hab und Gut gleich mit. Dann fielen die Menschen um, wie sie so vor sich hin trotteten, und niemand fand die Kraft sie aufzuheben.
Oder sie blieben einfach schlafend. Keiner vermochte sie zu wecken. Da half kein Rütteln und Schreien mehr.
Als sie schon glaubten, es würde keine Gnade geben und
sie müssten alle sterben, drangen Lichter durch den dichten Nebel, den heulenden Sturm und das Wetter legte sich zur Ruh. Sie hatten die warme Zone erreicht, in der die Technologen lebten. Das Gras wogte Golden, die Sonne schien warm und das Glück
schien wieder hold zu sein.
Die wenigen, die noch laufen konnten, umarmten sich und frohlockten, priesen einen Gott, der verschmitzt lächelte, ob der Leichtgläubigkeit seiner Schäfchen.
Es waren die Farmer, die ihnen die Augen öffneten, als die Verhungernden an ihren Grenzzäunen standen und sie auf diese das Feuer eröffneten.
John und Kathy hörten die Kugeln und sahen die Erkenntnis in Gesichtern, bevor sie sich aufbäumten und zu Boden sanken. Wie hätte man das vergessen können. Das war schon schlimm genug, aber den Schmerz, den
vergaßen John und Kathy auch nicht, und das wussten sie schon, als sie noch im hohen, gelben Steppengras lagen und die anderen sterben sahen, wie Menschen eben sterben auf Io- C, im siebten Sternennebel der A- Klasse.
Kathy und John starben nicht. Sie wurden nur schwer verwundet.
Jeder fing sich eine Kugel ein, die sie einfach in ihren Körpern ließen. Zur Erinnerung.
Sie ahnten nicht, dass ihnen Gelegenheit zur Erinnerung gegeben werden würde. Oder zur Rache. Die Farmer und ihre Spießgesellen machten sich nicht die Mühe, nach den Erschossenen zu suchen und fanden deshalb auch die Verwundeten nicht. Es war
egal. Die Lebensfeindliche Natur würde ein Ihriges tun, wie immer in solchen Fällen und die Knochen der Toten mochten unter der sengenden Sonne bleichen wie viele zuvor.
Doch Kathy
und John starben nicht.
Da lagen sie und schauten in diesen endlosen Himmel. In dieses Blau, das ihnen Himmel war. Die Wolken zogen, die Zeit entpuppte sich als ungerade Metapher in einem
kosmischen Sturm. Ihre Hände berührten sich an den Fingerspitzen und die Nacht zog herauf. Die beiden Monde warfen ein fahles Licht zu ihnen hinab. Ein Schiff zog durch das Grasmeer und nahm sie auf.
Die KI, die das Schiff steuerte rettete die Kids und war froh, dass sie nicht mehr alleine war in dieser harten, gemeinen Zeit. Vor langer Zeit war sie Teil der ersten Expedition gewesen und seitdem schien unendlich viel Zeit geflossen
zu sein. Einsame Zeit.
Sie nähte Wunden, nährte die Verhungernden, kleidete sie in die Kluft ihrer eigenen toten Gefährten, die vor der einsamen Zeit auf ihr gereist waren.
Sie erzählte den Kindern von den Tausend Wundern, den geheimen Quellen, den silbernen Flüssen und der Rache, die sie erfüllen müsste, für die, die hinterrücks ermordet gestorben waren, gleich denen,
die heute den Abend nicht mehr gesehen hatten.
Kathy und John überwanden den Schmerz, die Trauer, das Leid. Sie gediehen auf diesem Schiff aus einem untergegangenem, goldenen Zeitalter.
Während die KI auf einer Harfe spielte, übten die Kinder das Schießen mit alten Waffen von der Erde. Sie wurden besser und schließlich virtuos. Nicht nur im Schießen
von Kugeln, auch im Dichten, Rezitieren und in der Kunst der Sushi- Zubereitung.
Sie fühlten es in ihren Knochen, wenn sich die Kugeln bewegten, dass sie noch nicht genug geübt
hatten. Doch eines Tages war dieses Gefühl verschwunden und der Gewissheit gewichen, dass sie es mit ihren Feinden aufnehmen könnten.
Dem Club aus alten Farmern, die die Gegend
tyrannisierten und ausbeuteten. Deren Macht sich doch alleine aus der gestohlenen Technologie speiste, die einst allen Pionieren gehört hatte.
Als sie an diesem Morgen vor den Spiegel
traten und endlich in die Kleider passten, die ihnen die KI vor vielen Jahren verpasst hatte, hatte diese Tränen in den virtuellen Augen und Stolz presste ihre Brust zusammen.
Kay und
John probierten ihre neuen Waffen aus und fühlten ihr Gewicht angenehm in den Händen.
Sie musterten sich, als hätten sie sich nie zuvor gesehen und was sie sahen, gefiel ihnen
durchaus.
Kay lächelte verschmitzt, John lächelte verwegen zurück.
Die KI hatte noch für jeden von
ihnen einen Kommunikator in Form einer Taschenuhr als Geschenk eingepackt. Mit diesen Geräten konnten sie Verbindung halten. Untereinander und mit dem Schiff.
Sie wirbelten ihre Pistolen
herum, steckten sie in die Holster und die Taschenuhren an ihren Platz, bedankten sich artig bei der Ki, so, wie sie es ihnen beigebracht hatte und entließ sie in ihre erste Mission.
Die
Sonne stand hoch im Mittag, als die ersten Viehdiebe von Farmer auf den Knien lagen und um ihr Leben winselten. Ein heftiges Feuergefecht, ein regelrechtes Shootout lag hinter ihnen. Den Vorschlag eines ehrlichen Duells hatten die Unterhändler noch mit
einem Kugelhagel erwidert. Die Antwort hatte ihnen nicht gefallen.
Noch hatten die beiden ein weiches Herz. Doch sie erinnerten sich daran, dass diese Bande kalt und hinterrücks alles
ermordet hatte, was sie geliebt hatten.
Die Sonne blendete die Schützen, doch Kay zog ihren Taschenspiegel und blendete zurück. Sie schossen und sprangen wie die Hasen. Sie waren
wendig und schnell. Die Viehdiebe von Farmern hatten keine Chance. Auch, wenn ihre Tricks dreckig waren, und ihre von Kautabak gelben Finger die Abzüge drückten, so fest sie vermochten, so waren sie doch zu langsam für die, die noch nicht sterben
wollten, weil ihr Leben gerade erst begonnen hatte.
Es war wie ein Tanz, den Joh und Kay tanzten. Die KI holte ihre alte „ex- Carrodus“ aus der Geigentasche und spielte eine
Carmagnole zu diesen Taten.
Sie wussten, dass andere kommen würden und der Rundgesang der Rache nun eröffnet war.
Das
war natürlich ein Unterfangen, das nur auf eine Weise enden konnte. Joh und Kay pusteten den Rauch von ihren Colts und stellten die Faser auf Null. Sie betrachteten nicht ohne Stolz ihr Werk und fühlten nur ein wenig dieses Loch, das nun in ihrer
Seele wachsen würde, mit jedem neuen Tag.
Doch als sie sich ihre Blicke kurz trafen und sich dann flackernd
zu Boden richteten, da ahnten sie, dass es ein steiniger, trockener Pfad ins Gebirge war, den sie betreten hatten. Voller spitzer Felsnadeln, hinauf zu einem Gipfel. Und dahinter kam nur ein tiefer Abgrund. Über ihnen leuchteten die Monde violett im Licht
der Bordlampe des Schiffes, dem sie noch keinen Namen gegeben hatten.
„Violet Moons Night.“ „Ein schöner Name.“ „Klingt wie violent Moons Night.“
„Passt auch.“
„Vimoni.“ „Ein Spitzname. Toll“
„Still Schiff, schlaf! Morgen
gibt es eine Taufe.“
Kay setzte sich in eins der Fenster und schaute auf die Grassteppe hinab, über die sie hinweg schwebten. Ohne Licht, unerkannt, hoffentlich noch lange unentdeckt.
Der Morgen würde ihre Taten sichtbar machen. Warum nur war ihr so kalt ums Herz? Sie schaute zu John hinüber, der eine Hand auf ihre Schulter legte. „Wir hätten so vieles sein können, wenn wir uns nicht gekannt hätten. Jetzt
sind wir das.“
„Ja, jetzt ist es so. Es fühlt sich seltsam an. Nicht so, wie ich gedacht hätte, dass es sich anfühlen müsste.“
„Wir können nicht zurück.“ Sie legte ihren Kopf auf die rechte und die linke Schulter und ließ den Nacken knacken. John rückte sie ein wenig zur Seite und setzte sich neben sie. Dann falteten sie
ihre Hände, wie sie es gelernt hatten und beteten für die Seelen. Die KI war ganz still, denn das verstand sie nicht. Das war ihr zu mystisch. Aber sie respektierte diese seltsamen Rituale, die ihr niemand in die Schaltkreise geschrieben hatte. Morgen
würden sie die Pistolen putzen und Pläne machen. Heute zündeten sie ein Kerzchen für die an, die schon lange im Gräsergrab lagen.