Die Weihnachtsmörderei
Ein Weihnachtskrimi
Von Kerstin
Surra
23.12.2019
Als John die Einladung zum
Weihnachtsfest auf Lochy Castle am Loch Lochy im Briefkasten fand, seufzte er resigniert. Es musste sein, das wusste er. Das gebot die Menschlichkeit. Er würde die freudigen Lichter Londons gegen die Kälte des Hochlandes eintauschen, auf Festlichkeiten
zugunsten eines traurigen Windes, nebeliger Tage und menschenleerer Landstriche verzichten.
Aber das war es natürlich nicht nur, was ihn zögern ließ. Er hatte
Schlimmeres überstanden.
John war Junggeselle, nicht ganz mittellos und stammte aus einer angesehenen Familie. Er war gerngesehener Gast auf jeder Party die
im Herzen des Empire gegeben wurde. Und jetzt musste es ausgerechnet das ungemütliche Schottland sein und dann auch noch das alte, gebeutelte Schloss Lochy.
Allein der Name. Seine deutsche
Großmutter hatte sich ausgeschüttelt vor Lachen, als er ihr das erste Mal vom Loch Lochy erzählt hatte. Und seine Großmutter fand es normalerweise schon unter ihrer Würde auch nur den Ansatz eines Lächelns zu zeigen.
Und das Schloss war auch voller Löcher in Dach und Mauerwerk, in die der schottische Nebel kalt einzog, sobald der Sommer vorüber war. Ein Schloss war dieser Kasten niemals
gewesen, eher eine letzte Bastion gegen Feinde, derer es in der schottischen Geschichte viele gegeben hatte. Leider war nicht genug Geld vorhanden, um die alte Lady auf Vordermann zu bringen. Eine Zentralheizung wäre ja nicht schlecht, funktionierende
Elektrizität, Telefon. Moderne Träume, deren Erfüllung das Budget der Familie nicht hergab. Da half der alte Name nichts und all die großen Taten der Vorfahren hatten sich eher in Ruhm und Ehre als in barer Münze niedergeschlagen.
Der einzige Lichtblick in diesem Ungetüm aus Geschichte und bröckelndem Stein war seine alte Freundin Lady Jane. John und Jane waren Tür an Tür aufgewachsen,
wenn man das bei zwei Landgütern so sagen konnte, die zwar direkt benachbart waren aber doch weit auseinander lagen.
Viele schöne Erinnerungen an sommerliche Flussfahrten, Picknicks,
abenteuerliche Streifzügen durch das ländliche Refugium ihrer Kindheit und Jugend fielen ihm wieder ein.
John versuchte nicht sooft daran zu denken, seit Jane fortgegangen war,
um den griesgrämigen Lord Dumpfbacke zu heiraten. Na, er hieß nur in Johns Vorstellungen so, aber es traf den Nagel recht treffsicher auf den Kopf.
Dieser Windbeutel von einem
Lord war eines Tages wie aus dem Nichts aufgetaucht und hatte ihm Jane vor der Nase weg geschnappt.
John erinnerte sich nur zu gut an diesen Moment auf einer Cocktail Party, als sie es ihm
beichtete.
Ihm war da erst aufgegangen, dass er Jane niemals seine Liebe gestanden hatte. Für ihn war es eine ausgemachte Sache, dass sie zusammen gehörten.
Was war er doch für ein Hornochse gewesen.
Es geschähe nur aus Pflichtgefühl versicherte ihm Jane. Warum sie sich ihm so erklärte,
wollte nicht in seinen Dickschädel. War das vielleicht ein Hilferuf gewesen? Eine Aufforderung ihr endlich zu gestehen was er fühlte? Aber er hatte nur verletzte Eitelkeit gefühlt. Jedenfalls in diesem ersten Moment und später war es zu
spät. Pflichtgefühl. Was sollte das denn heißen? Ihre Familie war reich, die ihres Zukünftigen so gut wie verarmt. Das einzige das er besaß war sein guter Name. Dass genau dieser Janes ältestem Bruder zu einer hohen Stellung
in der Politik verhelfen würde, ahnte John nicht. Das Ränkespiel der feinen Herren war ihm nicht geläufig, da er als jüngster Sohn der Familie eher ein nachsichtig behütetes Leben geführt hatte.
Dass Jane dann auch noch in diese ferne Gegend zog, war wirklich das schrecklichste Szenario, welches sich John vorstellen konnte.
Wie Jane sich dabei fühlen
mochte! Sie war so jung und beliebt und lachte so gerne. Sie war eine ausgezeichnete Tänzerin und ihr Mann war all das nicht.
Einige Jahre war es still um Jane geworden. Ihr Leben sei
recht trostlos, so hörte man. Doch John versuchte nicht daran zu denken.
Bis zum 14. April 1912.
Da sank die Titanic
und mit ihr alles, woran das Empire geglaubt hatte. Und Francis James Butter of Londrock Dumpfbacke versank mit dem Schiff und seinem miesepetrigen Gesicht in den eiskalten Fluten des Polarmeeres. Naja, Neufundland, aber „Verschollen im Eismeer“
von Edgar Allen Poe und die Fortsetzung „Die Eissphinx von Jules Verne“ gehörten zu Johns Lieblingsbüchern. Er stellte sich gerne den Nebenbuhler auf einer einsamen Insel im Eismeer vor. Egal an welchem Pol.
Dann hatte ihn das schlechte Gewissen gepackt. Für Jane musste das alles ja schrecklich sein. Und er hoffte, dass sie jetzt schleunigst nach London zurückkehren würde, damit er sie trösten könnte. Aber
das tat sie zu seiner Überraschung nicht.
Er schrieb ihr einen langen Brief, in dem er ihr sein Beileid aussprach, sie seiner Unterstützung versicherte und ihr sonst nichts von
seinen Gefühlen verriet, ganz der alte John.
Das Antwortschreiben war höflich. Als würde sie sich seiner kaum mehr erinnern. Aber bestimmt in der Aussage, dass sie das Schloss
nicht einfach sich selber überlassen könnte, denn noch sei die Frage der Erbfolge nicht geklärt. Ihre ganze Mitgift war an den alten Kasten gebunden. Da hatte ihr Mann ganze Arbeit geleistet. Nun stellten die Verwandten ihres Mannes Ansprüche,
denn schließlich sei sie nur eine Frau und habe kein Anrecht darauf, das Erbe ihres Mannes zu erhalten. Die übliche Leier.
Das Problem war nur, dass ihr Mann gar nicht für
tot erklärt worden war. Er war auch nicht gefunden worden. Sein Sarg war das tiefe Meer. Was wollte Jane in dieser Einöde, was um Himmels Willen in diesem alten Ungeheuer?
Einige
Monate später erfuhren es alle, denn Jane kämpfte nicht für sich, sondern für das Neugeborene, den 5. Earl of Butterscottch. Das warf John erst einmal um.
Nun also diese
Einladung. Wie konnte er eine arme Witwe alleine Weihnachten feiern lassen? Natürlich würde er alles sausen lassen und mit einem Arm voller Geschenke nach Schottland düsen.
Und
nun saß er im Auto und fuhr in die beeindruckende Feste ein, die ein Heim sein sollte. Malerisch gelegen, das musste er zugeben, aber auch düster und unheimlich in dieser Jahreszeit.
Als
er in den Innenhof einfuhr, öffnete sich eine kleine Tür oberhalb einer Treppe und eine Frau kam die Stufen herunter gesprungen.
Erst erkannte John sie mit ihrer modischen Kurzhaarfrisur
kaum, aber nur kaum, denn seine Jane hätte er überall erkannt.
Sie schien keinen Tag gealtert seit ihrem letzten Treffen und genauso vergnügt und ungezwungen wie in ihren
Kindertagen zu sein.
Ein paar Rundungen hier und dort machten sie noch süßer. John schluckte. Verdammt!
Jane
umarmte ihn und lachend fiel er in die Wiedersehensfreude mit ein. Er hatte befürchtet eine trauernde Witwe zu sehen. Doch Jane ließ sich erst einmal nichts von Traurigkeit anmerken.
„Komm
rein, die anderen sind schon da.“
„Die anderen?“
„Ja, es warten ein paar alte Freunde auf dich.“
Gespannt und etwas enttäuscht, dass er nicht der Ehrengast war, lief John hinter Jane die Stufen hinauf.
Sie betraten einen
warmen, gemütlichen Raum. Die Küche, erfüllt mit Weihnachtsdüften, Plätzchen auf Backblechen und mit Nelken gespickte Orangen, die einen feierlichen Duft verströmten.
Ein Feuer im Herd machte den Raum rot glühen, samt Jane und John. Er taute langsam auf. Nicht nur seine abgestorbenen Finger, sondern auch sein kaltes Herz, das vom schottischen Winter bisher nicht so begeistert war. Nun begann er anders darüber
zu denken. War nicht alles in dieser Küche, was er an Weihnachten brauchte?
Doch Jane griff seine Hand und zog ihn weiter. Sie betraten ein schönes, großes Wohnzimmer.
Hier war alles festlich geschmückt, bis auf den Baum, der noch darauf harrte, wie die vielen Kisten zeigten, aus denen Lametta und Rausche- Engel quollen.
Mehrere Leute erhoben sich bei ihrem Erscheinen und stellten ihre Whiskey und Scottchgläser auf kleine Beistelltische.
Überrascht umringten die anderen Gäste John. Die meisten kannte er schon ewig. Alles Freunde aus Jugendtagen. Nur drei Gäste standen abseits und schauten eher gelangweilt auf den Neuankömmling.
Zuerst begrüßte John seinen alten Kumpel Zwick, der in seinen karierten Flanellhosen ganz ins schottische Hochland passte. Sie waren zusammen im Internat gewesen. Zwicks lustige Streiche waren John noch lebhaft in Erinnerung.
Dann drängelte sich die kleine Nancy dazwischen. Sie schubste Zwick mit ihrer Hüfte beiseite und fiel John um den Hals.
Zwick zog sie lachend zu sich. Die beiden hatten letztes
Jahr geheiratet. Nancy warf trotzdem einen schmachtenden Blick zu John. Aber das war nur gespielt. Sie lachten.
Ein großer, hagerer Bursche drückte John die Hand. James. Janes
jüngster Bruder. Ihr absoluter Liebling. Nur dass er gar nicht klein war, sondern stolze 1,85 maß. Sein hübsches Gesicht wurde von einem abenteuerlichen, roten Bart umrahmt. Er war gerade von einer Himalaja Expedition heimgekehrt. John beneidete
ihn um sein aufregendes Leben. Das würde wieder ein paar tolle Geschichten geben, wenn sie sich später um den Kamin versammelt hätten.
James trat zurück und ließ
eine rundliche, kleine Gestalt vorbei. Francoise, die französische Cousine von Jane und James, die ihre Jugend in England verbracht hatte, da ihre Eltern immer auf Reisen gewesen waren. Lag wohl in der Familie, das Fernweh.
Ihre lustige Stubsnase reckte sich John entgegen, der sie um einige Längen überragte und selber nicht zu den Größten zählte.
Er freute
sich sehr, dass Francoise auch da war, denn mit ihr gab es immer etwas zu lachen.
Dann war es an Jane, John den übrigen Gästen vorzustellen. Er verbeugte sich steif vor den Damen
Roberta und Anagretha, zwei Schwestern von James Buttercup, Janes Verflossenem und ein Cousin von demselben, namens Augustus.
Sie waren anscheinend von der Familie abkommandiert worden,
um hier nach dem Rechten zu sehen. So, als würde Jane das Familienwappen mit Pfefferminzsoße besudeln und das Tafelsilber verhökern.
Sie stellten es natürlich
anders dar, aber letztlich lief es darauf hinaus. Die drei sahen so verbissen aus, wie John James B. in Erinnerung hatte.
John ließ sich nichts anmerken.
Doch den festen Knochensprengenden Händedruck Augustus konnte er nur gerade so aushalten, ohne stöhnend in die Knie zu gehen. Das kam vom Baumstämmeweitwurf, da war sich John sicher.
Bewundernd bestaunte er die Pranken von Augustus. Seine Cousinen standen ihm aber an Kraft kaum nach, was ein wenig an Johns Selbstbewusstsein nagte.
„Wer hilft den Baum schmücken?“
Wie die kleinen Kinder griffen die Freunde in die Kisten und begannen ihr Werk. Personal schien es wohl nicht zu geben. Umso besser. Das machte doch richtig viel Spaß. Nur Roberta, Anagratha und Augustus hielten sich im Hintergrund. Sie schienen eher
um das teure Muranoglas der Christbaumkugeln besorgt, als um den Lichterglanz des Baumes.
Jane winkte John, der kaum angekommen schon mitten in Aktivitäten steckte, zu sich. Heimlichtuerisch
lotste sie ihn nach draußen. Diesmal standen sie in einer großen kalten Halle. Der Atem gefror ihnen, als wären sie im Freien.
Eine große Treppe
führte nach oben und lief auf eine Galerie hinaus, die die Halle einmal umquerte.
Er folgte Jane ins obere Stockwerk, wo die Schlafräume lagen. Dieser Teil der Burg war weniger
anheimelnd und machte einen verwahrlosten Eindruck. Man schien sich drauf zu beschränken die Wohnräume zu heizen. In den einzelnen Schlafzimmern wurde nur des Abends geheizt. Heiße Steine im Bett ersetzten die Zentralheizung.
Leise öffnete Jane eines der Schlafzimmer. Dieser Raum war wieder gemütlich und warm. Ein junges Mädchen schlief in einem Schaukelstuhl neben einer Wiege. Das Mädchen sprang auf, als sie
die Schritte vernahm. Doch sie machte keinen zerknirschten Eindruck, weil sie geschlafen hatte.
Jane stellte sie als Jeanette, das Kindermädchen vor. Sie trug keine Uniform sondern
ein schlichtes Kostüm in dem sie einfach reizend aussah.
Dann beugten sich die Erwachsenen über die Wiege, um das dicke, zufriedene Baby darin zu bewundern.
Jane und John saßen in einem Alkoven und schauten auf die verschneite Landschaft hinab. Hier war von dem See, an dem das Castle lag nichts zu sehen.
Der Garten lag verlassen und etwas zerrupft vor ihnen, dann folgte ein Wald und eine weite Ebene.
Sie wickelten sich in die Decken ein, die bereit gelegen hatten.
„Nun sag mal, wie es dir geht.“ John legte sanft eine Hand auf Janes Arm.
„Ist schon gut John. Eigentlich ganz gut. Den
Umständen.…Ach quatsch. Lass uns mal ehrlich sein.
James war ein Mistkerl und ich bin besser ohne ihn dran. Aber dass er so sterben musste ist natürlich furchtbar.“
„Natürlich!“
„Jetzt sitz ich hier in Schottland fest und muss das Erbe meines Kindes verteidigen. Das Schloss
ist so alt und leck wie mein Geldbeutel bald sein wird und dazu die Geier von Familie im Nacken.“
John nickte verständnisvoll. Soweit hatte er sich das gedacht.
„Und dass man versucht mich umzubringen.“
John hustete vor Schrecken und Überraschung die Luft in hohem Bogen aus.
„Was?“
„Jemand versucht mich umzubringen.“
„Wie,
wer, wieso?“
„Tja, das sind alles gute Fragen.“
„Hast du mit der Polizei gesprochen?“
„Man nimmt mich nicht ernst.“
„Empörend.“
„Hör dir erst mal an, was ich zu sagen habe. Dann kannst du vielleicht besser entscheiden, ob du das nicht auch so siehst.“
Dann erzählte Jane dem Verblüfften
von seltsamen Unfällen, die Jane keineswegs für solche hielt.
Eine Leiter, auf die sie steigen musste, um ein bestimmtes Buch aus dem hohen Regal zu holen war an der letzten Sprosse
gebrochen und Jane hatte es nur ihrem turnerischen Geschick zu verdanken, dass sie sich nicht den Hals gebrochen hatte.
Die Sprosse war seltsam glatt zerbrochen, als hätte man sie angesägt,
befand Jane. Doch das fand sie erst später heraus, als sie sich die Leiter noch einmal genauer betrachtete. Zunächst dachte sie selber an einen unglücklichen Zufall. Dann jedoch häuften sich solche Vorfälle und sie begann näher
hinzusehen.
Ein geplatzter Reifen auf der kurvigen Straße, eine Steinfigur, die sich vom Sockel löste und aus zehn Metern knapp Jane verfehlte und einen tiefen Krater an der vorderen
Front hinterließ.
Die Polizei besah sich die Umstände näher und kam zu dem Schluss, dass eine Frau nicht alleine in so einem Kasten wohnen sollte, alleine ihr Auto chauffieren
musste oder auf Leitern klettern sollte. Das war ja auch recht unschicklich.
„Tja, Armut ist also doch eine Sünde, und eine moderne Frau zu sein, erst Recht.“ endete Jane
lachend.
„Wissen die anderen davon?“
Jane druckste herum: “Ja, deshalb sind sie da.“
John sah sie betroffen an. Alle wussten Bescheid, nur er, Seelenverwandter John nicht.
„Ich wollte wissen, ob du auch so kommen
würdest.“ Jane wurde Puterrot. John spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss.
Sie brachten beide kein weiteres Wort heraus. Alte Seelen mussten das auch nicht.
Endlich nahm John ihre Hand: “Da bin ich.“
„Da bist du.“
„Und jetzt?“
„Baum schmücken?“
John musste lachen.
„Jane, du bist einmalig.“
„Weißt du, ich habe mich wirklich bemüht. Doch mein Mann und ich hatten kein Quäntchen
gemeinsam.“
„Er interessierte sich nicht für Physik?“ John schaute sich lachend um und blickte in die rußenden Flammen der altmodischen Beleuchtung.
„Er verabscheute alles, was mit Wissenschaft zu tun hatte.“
„Wieso fuhr er dann mit der Titanic?“
„Prestige. Er lachte nicht gerne, er tanzte nicht, Literatur war für ihn was für Wirrköpfe. Dieser Mann war einfach nicht nett. Anfangs war er noch charmant und gefällig, doch
nach der Trauung zeigte er sein wahres Gesicht. Es war eine Dummheit, ihn zu heiraten.“
„Das tut mir leid.“
„Aber tot wollte ich ihn auch nicht sehen.“
„Natürlich nicht.“
„Irgendwann
standen seine Verwandten vor der Tür. Sie wollten nicht, dass ich Weihnachten alleine verbringen muss. Sehr fürsorglich, nicht wahr? Und seitdem folgen sie mir auf Schritt und Tritt. Und wenn nicht einer von ihnen hinter mir herschleicht, dann ist
es einer der Dienstboten.“
„Welche Dienstboten?“
„Die Köchin Bertha, der Gärtner Jonathan
und das Kindermädchen. Das kennst du ja.“
„Richtig.“
„Was nun?“
„Baumschmücken.“
„Baumschmücken. Und keine Sorge, mir fällt schon etwas ein.“
Zuerst wollte John einmal alle Anwesenden unter die Lupe nehmen, die er noch nicht kannte.
Die anderen waren noch eifrig beim Schmücken
und plauderten ausgelassen oder vertieften sich in ihren Whiskey.
Die Küchentür ging auf und eine rundliche Dame trat ein. Die Köchin, unschwer an Schürze und dem kleinen
Pölsterchen vom vielen Probieren um die Hüften herum, zu erkennen. Resolut trat sie auf und etwas verärgert. Man sah ihr an, dass sie eigentlich nicht gewöhnt war aufzuwarten. Aber die gute Hausfrau hatte ja allen Mädchen freigegeben,
damit sie bei ihren Familien feiern konnten. Sie hatte die verrückte Idee gehabt, dass alle Gäste mithelfen sollten und die ungeschickten Hände beim Kochen, Backen und Baumschmücken einsetzen sollten. Wer hatte so etwas je gehört?
Bertha hatte keine Familie, ebenso wenig wie der Gärtner. Also waren sie geblieben, um sich darum zu kümmern, dass das Haus nicht abgefackelt wurde, weil irgendeiner von den feinen
Herren das Feuer falsch entzündete, oder einen Braten zu lange schmoren ließ.
Die Gäste fanden die Idee wunderbar demokratisch und modern. Nun ja, was sollte sie machen.
Das waren vielleicht Londoner Sitten.
Sie trug auf einem Tablett heißen Grog für alle herein.
Hinter ihr
kam lachend die kleine Nancy hergetrappelt und balancierte gefährlich ihr Tablett von einer Seite auf die andere. James sprang ihr geflissentlich bei, während Zwick der schnaufenden Bertha das Tablett abnahm. Und ihr dann zu ihrer Überraschung
das erste Glas anbot. Zuerst wusste sie nicht, was er von ihr wollte und sie nahm das Tablett, das er ihr demonstrativ hinhielt zurück. Doch er schüttelte den Kopf und hielt es fest und nickte Richtung Glas. „Trinken sie einen Grog mit uns,
liebe Bertha. Ihr Begrüßungsessen war so köstlich! Ich wünschte, ich könnte sie mit nach London nehmen, um jeden Tag so zu speisen!“
James war eigentlich ein
asketischer Esser, aber Berthas Schmorbraten hatte es ihm angetan. Bertha lächelte wie ein verliebtes Mädchen und griff sich beherzt ein Glas. Was sollte es. Eine neue Zeit begann. Wollte sie sich dem verschließen?
Sie schaute zu Jane hinüber, doch etwas erschrocken über die eigene Tollkühnheit. Die nickte ihr aufmunternd zu und hob das eigene Glas zu einem Prosit.
Jane hatte selber längst die Nase voll von all den Ritualen, gesellschaftlichen Anforderungen und erstarrter Gleichförmigkeit. Sie träumte davon, das alles über Bord zu werfen und irgendwo neu anzufangen. Doch jetzt war sie auf
dieser Burg gefangen, wollte sie nicht das Erbe ihres Kindes verschenken.
Dabei würde ihr ganzes Vermögen aufgezehrt werden und langsam wusste Jane nicht mehr genau, ob das alles
noch einen Sinn machte.
Versonnen nippte sie an ihrem Grog, der ihr heiß in die Nase stieg und sie wohlig einhüllte. Ihr Blick hob sich leicht über den Nebel aus heißem
Alkohol und Lichterglanz und begegnete Johns liebem Gesicht.
Die Tür ging auf und etwas polterte herein. Erschrocken zuckte Jane zusammen und verriet John, dass sie die
Bedrohung doch nicht auf die leichte Schulter nahm, wie sie ihm weis machen wollte.
Doch es war nur Jonathan, der Gärtner, der anscheinend ein Näschen
für das gute Zeug hatte, denn als ihm ein Glas gereicht wurde, zierte er sich nicht lange und freute sich, die kalten Hände aufwärmen zu können. Brummelig grollte er ein Dankeschön und steckte die Nase in den Dampf, der aus seiner
Tasse aufstieg.
Ein weiteres Mal öffnete sich die Tür. Diesmal war es Jeanette mit dem Kindelein und alle scharten sich um das schöne Gespann, um es zu bewundern.
James holte Nachschub aus der Küche, nachdem er Bertha um Erlaubnis gebeten hatte, die diese gerne gewährte und alle hoben die Gläser zu einem Toast.
Da lag Weihnachtsstimmung in der Luft und die feine Note einiger Mordversuche wie die piksenden Nadelspitzen und ein wenig von einem Gefühl wie feinstes Engelshaar dazwischen.
Der Grog war köstlich, aber für Jane nicht süß genug. Bertha wusste, dass sie ihren Grog gerne besonders süß trank, mit schön viel Zucker, doch durch das Tablettjonglieren war ihr Grog einem anderen
ihrer Gäste in die Hände gefallen und als Nancy ausrief: “Uh, ganz schön süß.“, wusste sie auch wem. Jane lächelte und sagte nichts.
Als der Baum
geschmückt, das Essen von vielen unbeholfenen Händen vorbereitet und der Nachmittagstee genossen war, zog man sich zurück. Doch nur vorgeschoben war das Schließen der Türen der eigenen Schlafzimmer. Als alles still war, trafen sich
James, John und Jane wieder unter dem Weihnachtsbaum.
Sie hatten einen Plan geschmiedet und wollten ihn noch vor dem Abendessen umsetzen. Zuerst zeigte Jane den beiden die unleugbaren Beweise
der Anschläge auf ihr Leben. Dann inspizierten sie das Haus und das Grundstück. Sie wussten nicht, wonach sie suchen sollten, doch irgendwo mussten sie ja anfangen.
Das Haus hatte
Jane mit James schon auf den Kopf gestellt, so dass sie schnell im Garten waren und die kleinen Gebäude inspizierten, die zu dem Anwesen dazu gehörten.
Da waren die Ställe,
die Garage und das Haus, in dem die Gartengeräte untergebracht waren, das Gewächshaus und eine Waldhütte.
Als sie diese Hütte betraten, war es John, als wäre es
viel zu warm in der Hütte, als hätte bis vor kurzem jemand im Kamin eingeheizt.
„Das kann nicht sein. Im Winter benutzen wir die Hütte nicht. Sie diente den Jagdgesellschaften
als Rastplatz. Doch die letzte Jagd liegt lange zurück.
Aber John hatte Recht. Die Glut im Kamin glimmte noch. Der Rauch des Kamins war vom Schloss aus nicht zu sehen. Wer hatte sich
hier draußen herum getrieben?
Sie durchsuchten die Hütte, fanden aber keinen Hinweis.
Unverrichteter Dinge kehrten sie zum Schloss zurück, wo schon helle Aufregung herrschte.
„Wo warst du Jane, wir haben dich überall gesucht. Nancy geht
es sehr schlecht.“
„Was meinst du?“
„Sie klagt über furchtbare Bauchschmerzen und ist ganz
grün im Gesicht. Wir haben einen Arzt gerufen.“
Jane lief sofort zu dem Sofa, auf dem Nancy bleich und sich vor Schmerzen krümmend lag und das Kissen mit ihren Händen
knetete, um nicht laut zu schreien.
Jane kam ein furchtbarer Verdacht.
Der Arzt traf zum Glück schnell ein und
bevor er sich über die arme Nancy beugte, flüsterte ihm Jane etwas zu. Ungläubig starrte er sie an, dann begann er flink zu handeln. Untersuchte Nancy, roch an ihrem Atem, sah sich ihre Nägel an und nickte. Zwick musste Nancy in eines der
Badezimmer tragen und dann schloss der Arzt die Tür vor ihrer aller Nase.
Nach einiger Zeit kam er wieder raus und eine erschöpfte Nancy öffnete langsam die Augen und schloss
sie wieder.
„Sie können sie jetzt ins Bett bringen. Ich denke wir haben das Schlimmste verhindert. Geben sie ihr diese Medizin jede halbe Stunde und dann wird alles wieder gut.“
So geschah es. Dann nahm er Jane beiseite. Sie winkte John zu sich, damit er mit hören konnte.
„Sie hatten Recht. Eine
Vergiftung. Was geht hier vor?“
Jane vertraute sich ihm an und ungläubig nickte er.
„Ich werde noch
heute mit der Polizei sprechen. Die müssen sie nun ernst nehmen.“
Der Arzt schritt schnellen Schrittes aus der Tür und ließ Jane und John erschrocken zurück.
„Es ist also wahr.“
John nickte. „Aber wieso Nancy und wie.“
Jane erklärte ihm den Zuckergrog. Da liefen sie schnell in die Küche. Die Tassen standen noch ungespült in der Spüle. Alle Tassen waren leer, bis auf zwei.
Jane roch an den Tassen und wirklich einer der Tassen roch leicht nach Bittermandel. Die andere Tasse war demnach Janes Tasse, denn sie hatte den Grog stehen lassen, weil er ihr nicht süß genug war und Nancy hatte nur
einmal an ihrem genippt, weil er ihr zu süß gewesen war. Das hatte ihr das Leben gerettet.
Doch Jane weinte nun bittere Tränen darüber, dass sie ihre Freunde
in diese Gefahr gebracht hatte.
„Was habe ich mir nur dabei gedacht?“
„Sie wollten es doch so. Nun
müssen wir sie einweihen und gemeinsam diesen Mistkerl finden. Ob es die Köchin war? Sie wusste von deiner Naschsucht.“
„Wir müssen es in Betracht ziehen.“
Traurig schlich Jane hinter John her.
Die Freunde hatten sich vor Nancys Zimmer versammelt. Nun gingen sie hinein und besprachen die Angelegenheit, während Jane Nancys Hand hielt und
sie um Verzeihung bat. Die immer alberne Nancy lag nun still und betrachtete Jane ganz ruhig:“ Dann habe ich dir das Leben gerettet. Das ist doch großartig.“
„Das
beste Weihnachtsgeschenk. Und was bekomme ich, Nancy?“ Zwick alberte herum und erhielt dafür einen wohlverdienten Knuffer von Francoise.
„Danke Francy, das ist sonst meine
Aufgabe. Aber ich bin zu schwach.“
Alle lachten leise. Das tat gut.
„Wir müssen jetzt gut aufeinander
aufpassen.“
Das versprachen sie sich. „Ich gehe noch einmal zur Hütte zurück und nehme sie noch genauer unter die Lupe.
„Wir sollten immer zu zweit unterwegs sein.“
„Kluger Einwand, Zwick. Dann komm!“
Sie
schlichen sich aus dem Haus, während James und Francoise die Küche inspizieren wollten.
Jane blieb bei Nancy und streichelte ihr die Stirn, bis sie eingeschlafen war.
Francoise fand das Gift in einer kleinen Kiste unter einer losen Steinplatte. Also doch die Köchin. James war sehr traurig. Er liebte doch ihren Schmorbraten.
Die Tür ging auf und Bertha stand in der Tür, ein Hackebeilchen in der einen Hand.
Drei Münder standen offen.
Als John und Zwick auf dem Weg zur Hütte waren, trafen sie Augustus, den düsteren Cousin aus der kleinen Kate kommen, in der der Gärtner wohnte. Er und der Gärtner standen steif vor den unerwarteten Besuchern.
Die beiden Männer schauten erschrocken zu John und Zwick hin, als wären sie bei irgendeiner Schandtat entdeckt worden. Augustus hielt etwas in der Hand und steckte es schnell ein. John hätte zu gerne gewusst, was das war. Doch wie hätte
er es heraus bekommen sollen?
Sie grüßten einander und murmelten etwas von Spaziergang und über die Ernte sprechen.
Irgendwie lag Lüge in der Luft und niemand wollte es zugeben, also verabschiedete man sich höflich und ging des eigenen Weges.
„Den müssen wir im Auge behalten.“
„Ich finde beide sehr verdächtig.“
In der Hütte schauten sie sich genauer um und dann fand John
etwas, das er nicht verstand. Er steckte es ein und sie gingen zum Schloss zurück.
Dort begegnete er Jane und Nancy, die sich erstaunlich schnell erholt hatten.
Nancy murmelte was von Vorfahren und das Wilhelm der Eroberer sich auch nicht mit einem Schnupfen ins Bett gelegt hätte.
Das Kindermädchen
saß bei den Mädchen und berichtete gerade, dass sie aus dem Zimmer von Janes verstorbenen Mann Geräusche gehört hatte. Das Zimmer lag nah bei dem Zimmer, mit dem sie bei Janes Sohn gesessen hatte. Sie war an die Tür
geschlichen und hatte Anagretha und Roberta in den Schubladen und Schränken herum wühlen gesehen. Dann hatten sie etwas gefunden, dass ihnen offenbar einen Schrecken eingeflößt hatte.
Leider hatte der Kleine angefangen zu greinen und das hatte die Schwestern aufgeschreckt. Sie waren ins Ankleidezimmer geflohen und von da aus auf den Flur und die Treppe hinunter, während Jeanette sich im Zimmer des Gatten versteckt hatte. Sie
hatte noch einmal alles genau untersucht, aber nichts gefunden.
Dann war sie sofort mit dem Kind auf dem Arm zu Jane gekommen, um ihr zu berichten.
John war erstaunt, dass Jeanette unterrichtet war.
„Ich muss zugeben, dass Jeanette kein normales Kindermädchen ist. Sie ist eine Personenschützerin
und passt auf mein Kind auf. Denn wenn man es auf mich abgesehen hat, dann doch ganz gewiss auf den Erben.
„Ich beherrsche einige fernöstliche Kampfsporttechniken und trage eine
Pistole im Mieder.“
Alle waren beeindruckt.
„Sie hat Mieder gesagt.“
Nancy kicherte verlegen.
„Das hat sie.“ James schien noch etwas beeindruckter als der Rest von ihnen zu sein.
„Wo haben sie das denn gelernt?“
Man ließ die beiden mit ihren Geschichten von fernen Ländern und Abenteuern, die sich keiner ausmalen
konnte zurück und beriet sich.
„Wir müssen Anagretha, Roberta und Augustus mit unserem Verdacht konfrontieren. Wo sind eigentlich Francoise und Zwick?“
„Sie wollten in der Küche herumschnüffeln. Sind aber noch nicht wieder aufgetaucht.
„Ihnen wird doch nichts
zugestoßen sein! Ich könnte es nicht ertragen.“
Jane war verzweifelt.
„Da ist noch etwas. Sieh
mal, was ich in der Hütte fand.“
„Das kann nicht sein.“ Jane nahm John das Objekt aus der Hand und verstand gar nichts mehr.
„Wir suchen die anderen und treffen uns im Wohnzimmer.“
„Da kommt Jonathan auf das Haus zu. Er muss dabei sein. Der Gärtner war es doch
in der Regel, denn einen Chauffeur und einen Butler hast du ja nicht mehr.“
Das Wohnzimmer war mollig warm und die Lichter brannten noch im Baum, weil in der Aufregung niemand daran
gedacht hatte, sie zu löschen.
John löschte schnell die Kerzen, bevor sie die grünen Spitzen erreichen konnten. Die anderen schauten in der Küche nach den
Freunden. Der Anblick, der sich ihnen bot, ließ sie innehalten und staunen. Da saßen Bertha, Zwick und Francoise um einen kleinen Tisch herum, die Köpfe auf die Brust gesunken, wie es schien. Kein Laut war zu hören.
Ein blutiges Hackebeil lag zwischen ihnen auf dem Tisch, ein armes totes Huhn lag achtlos auf dem Fliesenboden und die blutige Schürze Berthas lag daneben.
Die drei blickten mit geröteten Gesichtern auf und gaben den Blick auf die Aufgabe frei, die sie sich gestellt hatten.
„Fertig!“ rief Francoise
und blickte auf und in die erstaunten Gesichter der Freunde, sie sich in der Tür quetschten.
Zwick hielt triumphierend das Stück Papier in die Höhe.
„Ihr werdet staunen.“
„Das glaube ich auch!“ brummte die tiefe Stimme Augustus in den Raum. Erschrocken schauten die Freunde zu der großen
Gestalt, die dreckig und von Spinnenweben verhangen aus der Dunkelheit hinter dem großen Herd trat. War er die ganze Zeit hier gewesen?
Ein kleiner erschrockener Aufschrei entfuhr
den Freunden. Dann hörten sie hinter sich die zwei Schwestern aus dem Wohnzimmer herüber rufen:“ Jetzt werdet ihr etwas erleben.“
„Wir sind umzingelt.“ James
versuchte an den Schwestern vorbei aus der Tür zu kommen, doch die anderen versuchten es auch und ein heilloses Durcheinander entstand.
Man rempelte und stieß sich und endlich
waren alle im Wohnzimmer versammelt.
„Gibt es noch Grog?“
Alle schauten zu Jonathan herüber. Der Mann
hatte Nerven.
„Später.“
„Jetzt legen wir mal alles auf den Tisch. Hier geht etwas vor und wir
gehen nicht eher, als wir wissen, was das ist.“
John nahm die Sache persönlich.
„Jemand versucht Jane
umzubringen.“
Leider war auf den Gesichtern der Schotten keine Überraschung zu erkennen. Steckten sie etwa alle unter einer Decke?“ Jane konnte ihren Schrecken kaum verbergen.
Was würde geschehen?
„Also das dachte ich mir auch schon, als all die komischen Sachen passierten und da habe ich mal genauer aufgepasst.“ Bertha legte die Hände auf
ihr Kleid. Jane hatte sie noch niemals ohne Schürze gesehen.
„Soll das heißen, sie haben den Grog nicht vergiftet? Aber das Gift war in der Küche.“
„Also wirklich, ich vergifte meine Herrschaft, wer hat sowas schon gehört.“
„Es gab da diesen Fall in Warwick…“
Zwick verstummte.
„Bertha war es nicht. Sie wusste nichts von dem losen Stein im Boden. Man muss erst einen kleinen Stein entfernen, um den Stein anheben zu können. Als Kinder
haben wir kleine Briefe hier versteckt. Ich hatte lange nicht daran gedacht und auch an die anderen Geheimnisse dieses Hauses nicht.“
Augustus trat auf Jane zu, alle versuchten ihn
aufzuhalten. Jane wich zurück. Erstaunt schaute Augustus in die Runde.
„Ich will ihr doch nichts tun.“
Er
trat einen Schritt zurück, um Jane zu beruhigen.
„Bertha sprach mich auf die komischen Vorfälle an. Ich sollte mir die Sache mal ansehen, denn sie machte sich Sorgen um Cousine
Jane. Du bist doch jetzt meine Cousine.“
Jane schluckte verlegen.
„Was war das eben mit dem Gärtner?“
James mischte sich in diese rührende Szene ein.
„Jonathan, der Name, Sir. Ich gab dem Herrn etwas, das ich gefunden habe. Dachte, das könnte ein Hinweis sein.“
Stolz geschwellte Brust schaute er in die Runde.
„Ein Hinweis?“
„Ja, ein Hinweis.“
„Was ist es?“
„Zuerst will ich wissen, was Anagretha und Roberta
in James Zimmer zu suchen hatten.“ Jeanette wurde ungeduldig.
„Hinweise suchen.“
„Wieso habt ihr nicht mit mir gesprochen?“
„Weil mein Verdacht zu furchtbar ist und wenn ich mich irre, ihr hättet mich für verrückt gehalten.“
„Jetzt will ich sehen, was ihr alle gefunden habt.“
John wollte es jetzt endlich wissen.
Sie alle legten die Beweise auf den Tisch. Den kleinen, auf dem sonst die Sandwiches serviert wurden.
Es herrschte eine tiefe Stille, als
sie die Dinge betrachteten, die sie zusammen getragen hatten.
Da lag das zusammen geklebte Stück Papier. Es handelte sich um einen Brief. Auf dem stand, dass die Leiche von James Butter
gefunden worden war. Man sprach das große Bedauern aus und wartete auf Anweisungen, was mit den sterblichen Überresten geschehen sollte.
Jane konnte es nicht glauben. Dann war
ihr Mann also wirklich tot. Ein kleiner Schmerz war da und eine Erleichterung, die ihr gleich ein schlechtes Gewissen machte. Sie hatte sich immer ein wenig vor ihm gefürchtet und nur war das endlich vorbei. Aber wieso war der Brief zerrissen gewesen.
„Wo habt ihr ihn gefunden?“
„Jonathan hatte die Briefschnipsel auf einem Abfallhaufen gefunden und
gleich das Logo der Schifffahrtsgesellschaft erkannt, weil er alles über das Unglück mit dem Eisberg verschlungen hatte, denn schließlich hatte es den jungen Herren betroffen. Den Brief hatte er wie ein Puzzle zusammen gelegt. Es hatte ihn
bekümmert und gewundert, dass Jane so wenig zu trauern schien, dass sie diesen Brief gar achtlos wegwarf. Und dann kam auch der Leichnam nicht, und kein Begräbnis. Schließlich hatte er die Schnipsel in ein Kästchen getan und jetzt dem
anderen Herren, dem Augustus gegeben, denn der wusste vielleicht, was zu tun war.
„Der Brief ist vom Juni. Also hatte man ihn gleich gefunden. Wer wollte, dass ich das nicht erfahre?“
„Schau, was wir gefunden haben.“ Roberta und Augusta zeigten auf einen Umschlag. Darin befand sich eine Quittung für einen Check an einen gewissen Alfred Smith über eine hohe Summe.
„Alfred Smith ist der Grundschullehrer eines kleinen Ortes zwei Autostunden von hier. Er verschwand um dieselbe Zeit herum, wie dein Mann seine Reise antrat.
Ich weiß das nur durch Zufall, weil ich eines meiner Dienstmädchen darüber klatschen hörte. Sie stammt aus demselben Dorf wie Alfred Smith, der ohne Familie dastand. Das ist doch eine seltsame Geschichte.“
„Ich verstehe gar nichts.“ Jane musste es zugeben. Sie begriff nicht, was das alles mit den Mordanschlägen auf sie zu tun hatte.
„Das wirst du gleich.“
John zeigte auf die letzten beiden Gegenstände. Das eine war eine Schiffspassage nach Nordamerika und zurück auf den Namen Alfred Smith.
Den letzten Gegenstand nahm Jane in die Hand.
„Wo hast du das gefunden?“
„Beides lag unter einer hohlen Fußbodenlatte in der Jagdhütte.
„Aber das Kann nicht sein. Das ist James Pfeife. Und er würde niemals
irgendwo ohne sie hingehen. Er hatte sie an dem Tag dabei, als er seine Reise antrat, ich bin ganz sicher. Er hatte sie im Mundwinkel. Wie kann das sein?“
„Tja, wie kann das sein?“
John trat vor. „Ich sage euch, wie das sein kann. Er ist nicht tot.“
„Aber der Brief. „
„Alfred
Smith ist tot.“ Er war es, der die Reise antrat. Denn dein Mann hatte ihm Geld und eine Schiffspassage angeboten, damit er unter seinem Namen nach Amerika reisen konnte.
Dein Mann versteckte sich derweil in der Hütte und wollte seinen perfiden Plan durchziehen. Er wollte dich ermorden, an dein Vermögen kommen und dann sein Leben genießen.
Er wollte es machen, wenn sein Alibi perfekt war und er auf der Liste der Passagiere der Titanic stand.
Dann wollte er das nächste Schiff nach Amerika nehmen und dort an Land
viel Aufmerksamkeit erregen und zurückkehren als gebrochener Mann. Das Datum auf der Schiffspassage legt das nahe. Doch der Plan ging schief. Die Titanic sank. Das ganze Gebilde brach zusammen. Dann hatte er eine neue Idee, denn das fand ich außerdem:“
John legte den letzten Beweis für seine Theorie vor.
Ein neues Ticket. Eine hin- und Rückfahrt nach Amerika für Alfred Smith, der längst in irgendeinem Grab lag, weil
James es so verfügt hatte.
So konnte er von den Toten auferstehen, sich als verwirrten Mann präsentieren, der sein Gedächtnis verloren hatte und seine entledigte Frau betrauern.
Alle waren sprachlos.
„Aber wie sollte er das bewerkstelligt haben. Er konnte doch nicht einfach unbemerkt ein
und ausgehen.
„Da komme ich ins Spiel!“ Augustus blies einen letzten Spinnenweb von der Schulter.
„Ich fand in der Küche einen Geheimgang. Den kannte selbst ich nicht. So konnte er den Grog vergiften.
Aufgeregt riefen alle durcheinander, das war
doch zu unglaublich.
Jane fand, dass jetzt alles einen Sinn ergab. Ihr Mann hatte die ganze Zeit in der Hütte darauf gewartet, ihr den Garaus zu machen, war dabei aber genauso ein Stümper
gewesen, wie im Rest seines Lebens. Er hatte gewusst, dass sie den Grog süß mochte und sie oft dafür ausgescholten. Sie solle bloß nicht fett werden hatte er zu ihr gesagt. Dieser Schuft. Aber wo war er? Er konnte ihr immer noch ein Leid
tun oder unbemerkt fliehen.
Da hörten sie aus der Küche eine mächtige Explosion. Die Tür wurde aus der Angel gerissen, alle wie Spielfiguren durch die Luft geschleudert.
Eine Gestalt lief schreiend aus dem Rauch, dem Feuer und dem Dampf ins Wohnzimmer. Mit angesengten Haaren und rußigem Gesicht.
Alle schrien noch lauter, denn das konnte nur Knecht Ruprecht höchstpersönlich sein, oder der Leibhaftige.
Da sprang die Haustür auf und viele Schritte waren zu hören,
die Tür zum Wohnzimmer ging auf, ein Mann im langen Mantel stand verdattert im Raum. Hinter ihm schauten Polizisten auf das Geschehen und staunten.
„Guten Abend meine Herrschaften,
alle wohlauf? Niemand verletzt? Darf ich fragen, was hier vor sich geht? Ich wurde wegen einer Vergiftung gerufen, doch das ist eindeutig eine Explosion.
Jane begann als erstes zu kichern,
Augustus platzte als nächster heraus. Dann lachten sie alle. Denn es war ja auch zu komisch. Die rußige Gestalt wir ein Derwish in ihrer Mitte, Bertha und Roberta standen die Haare zu Berge, Jeanette war in Angriffshaltung irgendeiner Kampfsportart
verharrt, John hatte sich schützend vor Jane geworfen und einige Reste vom Festtagskuchen abbekommen während fünf Polizisten und ein Kommissar sich fragten, was für eine verrückte Party diese reichen Schnösel wieder veranstaltet
hatten.
Zwick faste sich seltsamerweise als erstes: “Nehmen sie diesen Mann fest. Er hat versucht seine Ehefrau, die zwölfte Baroness auf Lochy Castle zu ermorden.“
„Ich verstehe nicht.“
Der Kommissar verstand es wirklich nicht. Wie hätte er auch. Doch dann klärte sich alles
auf. Auch die Explosion. Denn die hatte der Lord Blödmann selber ausgelöst, als er versucht hatte, eine Bombe im Kuchen zu verstecken.
Er brachte wirklich nicht viel auf die Reihe.
Er war mit dem Schrecken davon gekommen, doch Zeit seines Leben musste er ohne Augenbrauen und Gesichtsbehaarung auskommen.
Sein Leben fristete er denn auch in einem schaurigen Gefängnis
im Dartmoor.
Die anderen feierten ein herrliches Weihnachtsfest mit kaltem Braten aus der Speisekammer, Eierpunsch und dem Hühnchen, dem die Explosion den nötigen Schliff gegeben
hatte.
Es war für alle das schönste Fest.
Jane entschuldigte sich bei ihren schottischen Verwandten und bei
den Dienstboten, die immer nur ihr Wohlergehen im Auge gehabt hatten, aber den schrecklichen Verdacht, ihr eigener Verwandter oder Brotherr könnte sich so einen perfiden Plan ausdenken nicht vor ihr zu erwähnen wagten.
So hatten sie hinter ihrem Rücken agiert. Wie sich rausstellte, wollte nur eine entfernte Tante und ein angeheirateter Onkel Anspruch auf das Schloss erheben. Niemand wollte sich mit diesem Kasten belasten zumal niemand genug
Geld hatte, um das zwar lieb gewonnene, aber alles verschlingende Gemäuer angemessen zu bewirtschaften.
Nach eingehenden Gesprächen mit ihren Verwandten traf Jane mit ihnen eine
Regelung, die allen zugute kam.
Sie schenkte das Schloss dem National Trust. Dieser wunderbaren Vereinigung, die alte Schlösser und Burgen für die Allgemeinheit erhielt und zugänglich machte.
Sie würden sich um das Haus und alles was dazu gehörte kümmern.
Ein lebenslanges Wohnrecht in einem kleinen Seitenflügel für alle Familienmitglieder würde die Verbundenheit zu dem Haus und seiner Geschichte für die Familie bewahren. Jeder konnte dort einen Teil des Jahres
verbringen und zu dem großen Weihnachtsfest kommen, dass Jane jedes Jahr dort veranstalten wollte. Alle Freunde waren eingeladen. Alte und neue.
Leben aber wollte sie mit John in London,
in seinem gemütlichen Stadthaus. Ihr Vermögen würde ihrem Sohn zukommen, da sie es jetzt nicht mehr in Steine und neue Dächer investieren musste.
Bertha kümmerte
sich fortan um James, der bald seine hagere Gestalt verlor, was Jeanette aber gar nicht schlimm fand.
Jonathan war nicht zu verpflanzen und wurde vom National Trust engagiert sich weiter
um den Garten zu kümmern und eine reichliche Anzahl von Helfern zu überwachen. Das gefiel ihm gut. Nur an Weihnachten trank er mit Jane und Bertha und den anderen einen heißen Grog, ohne Angst, er könnte vergiftet sein. Ansonsten blieb
er der bescheidene Jonathan.
Und so gingen die Jahre ins Land und der einzige, der sich Weihnachten vor Wut die Zähne ausknirschte, war Lord Dümmlich in seiner kalten Zelle, denn
er sah die Lichter im Moor und hielt sie für Weihnachtskerzen, dabei waren es doch Irrlichter, die aber auch so gar nichts mit dem schönen, Geborgenheit schenkenden Christfeste zu tun hatten. Und immer war ihm kalt dabei, als wäre er an einem
Eisberg vorbei gestreift.
Die anderen aber sangen fröhliche Lieder in ihrer warmen Stube. Unter dem reich
geschmückten Baum und dachten an nichts, als an das erste gemeinsame Weihnachtsfest, als es kalten Braten, vergifteten Grog und ein eplodiertes Huhn zum Festmahl gab.
Ende